DER STADTVERBESSERER

Arno Lederer

Leib und Seele ansprechende Häuser zu bauen, in denen der Mensch sich zuhause fühlen kann, darauf kam es ihm an – Zum Tod des großen Stuttgarter Architekten Arno Lederer

Als vor Kurzem Arno Lederers neues Buch mit seinen Texten zur Architektur im Stuttgarter Hospitalhof vorgestellt wurde, bemerkte der Kollege Christoph Mäckler am Rand der Veranstaltung: „Er ist ein Großer der deutschen Architektur.“ Dass der Frankfurter Architekt mit dieser Meinung nicht allein ist, ließ sich schon an den rund vierhundert Besuchern ablesen, die aus der ganzen Republik zusammengekommen waren, um bei dieser Gelegenheit Arno Lederer ein letztes Mal zu ehren. Denn es hatte sich herumgesprochen, dass der Architekt, der an diesem Nachmittag selbst schon gar nicht mehr teilnehmen konnte, schwer krank war.

Am vergangenen Samstag, eine Woche nach diesem vorgezogenen Abschied, ist Arno Lederer in seiner Geburtsstadt Stuttgart gestorben. Er wurde 75 Jahre alt. Was Baukunst vermag, das hat der Architekt seinen Zeitgenossen mit jedem Projekt seines Büros, aber auch als Hochschullehrer an den Universitäten Karlsruhe und Stuttgart ebenso wie als Autor vor Augen geführt. Exemplarisch für seine Haltung, ein Haus stets von der Stadt her zu denken, stehen im umfangreichen Werkkatalog die drei wichtigsten Stuttgarter Bauten von Lederer Ragnarsdóttir Oei: Das 2014 eröffnete Evangelische Bildungszentrum Hospitalhof, das eine graue, abgasgeschwängerte Durchgangszone mit einem öffentlich zugänglichen, rosenbepflanzten Innenhof in einen Ort zum Verweilen verwandelt hat. Der Erweiterungsbau der Landesbibliothek an der B14 ist dagegen noch ein Wechsel auf die Zukunft. In der Hoffnung, dass die Tage dieser monströsen Verkehrsschneise gezählt sein mögen, stellt er sich direkt an die Straße, statt wie die Nachbarbauten Abstand zu den Blechkolonnen zu halten. Eine große Freitreppe, klassischer Begegnungsort im öffentlichen Raum, macht Stadt, wo noch keine Stadt ist.

Aber Architektur – das war Arno Lederers Maxime – darf nicht vom Status quo ausgehen, sondern muss ihrer Gegenwart um mindestens fünfzig Jahre voraus sein. Zu sehen ist das ein paar Schritte weiter auch am Wilhelmspalais, das mit einer (noch im Bau befindlichen) Treppenkaskade aus seiner Nachkriegsisolation geholt wurde. Diese genaue Erkundung des Ortes, seiner Geschichte und seines baulichen Umfelds, war für Arno Lederer unabdingbare Grundlage eines Entwurfs.

Für die kleineren Projekte der Anfangsjahre – Einfamilienhäuser, Kindergärten, Schulen, Verwaltungsgebäude – galt das ebenso wie für die großen Kaliber aus jüngerer Zeit, darunter das Staatstheater Darmstadt, das sich von einer Drive-in-Festung in ein strahlend der Stadt zugewandtes Haus verwandelt hat, das Historische Museum im Zentrum von Frankfurt, das mit Preisen überhäufte Kunstmuseum in Ravensburg, die riesige Firmenzentrale der Drogeriemarktkette dm in Karlsruhe und zuletzt das von der Einwohnerschaft geradezu schockverliebt in Besitz genommene Volkstheater in München.

Von den gerasterten Kisten, die heute die Städte überziehen, unterscheiden sich die Lederer-Bauten durch massive, plastisch geformte Körper. Architektur – auch das ein Glaubenssatz seines Büros – ist für die Dauer gemacht, darin besteht ihre Nachhaltigkeit.

An der Moderne kritisierte Arno Lederer ihre Geschichtsvergessenheit: ihren reduzierten Formenkanon, ihre städtebauliche Tabula-rasa-Mentalität, ihre Fortschrittsgläubigkeit. Auch in ihren besten Zeugnissen habe sie vor allem Solisten hervorgebracht, keine Orchesterspieler, die sich als Teil eines größeren Ganzen verstehen. Arno Lederer dagegen wollte immer Orchesterspieler sein, an der Stadt weiterbauen, sich mit Formen und Material, vorzugsweise Backstein, in den Bestand einfügen.

Seine Architektur hat eine Formensprache entwickelt, die zwischen alt und neu oszilliert und die Kargheit des zeitgenössischen Bauens ebenso hinter sich lässt wie historisierende Stilkopien. Letztlich kam es ihm nur auf eines an: schöne, Leib und Seele ansprechende Häuser und Stadträume zu bauen, in denen der Mensch sich zuhause fühlen kann.

Für Aufbruch Stuttgart e. V. spielte Arno Lederer eine tragende Rolle. Er war 2017 an der Gründung des Vereins beteiligt und trieb die öffentliche Debatte mit eigenen städtebaulichen Vorschlägen zur Neuordnung des Kulturquartiers entscheidend voran. Seinen kollegialen Kontakten war es auch zu verdanken, dass Aufbruch Stuttgart e. V. im Herbst 2018 den spektakulären Workshop „Aufbruch Kulturquartier“ mit fünf namhaften Architekturbüros aus dem In- und Ausland veranstalten konnte. Die Idee dahinter: Einmal ohne Rücksicht auf Denkverbote und Das-geht-nicht-Parolen aus Politik und Verwaltung seiner Fantasie freien Lauf lassen, Konzepte für Stuttgart zu entwickeln, die Utopie und Realitätssinn miteinander verbinden.

Dem städtebaulichen B14-Ideenwettbewerb von 2020 gab dieser Workshop ebenso wie der von Aufbruch Stuttgart veranstaltete Workshop „Aufbruch Verkehrswende“ mit Verkehrsplanern entscheidende Impulse.

Besonders am Herzen lag Arno Lederer auch die Zukunft der Stuttgarter Oper. Mit aller Entschiedenheit lehnte er den geplanten Einbau einer Kreuzbühne ab. Der Littmann-Bau, eines der letzten intakten Stuttgarter Baudenkmale von Rang, müsse in seiner historischen Form bewahrt werden, ohne die Belange des Theaterbetriebs in Frage zu stellen. Gleichzeitig warb er für die Chance, die Sanierung des Opernhauses für eine städtebauliche Verbesserung zu nutzen, von der die ganze Stadtgesellschaft profitiert.

In diesem Sinne wird sich der Verein weiter engagieren.

Stuttgart verliert mit Arno Lederer einen geistreichen, streitbaren, engagierten Ideengeber und hervorragenden Architekten. Seine Stimme wird fehlen – in dieser Stadt und weit darüber hinaus.

Foto: © Volker Karcher